Politik für Alleinerziehende – VAMV Grundsatzprogramm

Familien in ihrer Vielfalt fördern statt Alleinerziehende zu benachteiligen

Bisher beeinflussen die Familienform und das Einkommen der Eltern, inwieweit Kinder gefördert werden. Große Ungerechtigkeiten gibt es beispielsweise im Steuerrecht: Die familien- und ehebezogenen Leistungen bevorzugen Eltern bzw. Paare mit Trauschein und benachteiligen Alleinerziehende. Um alle Familienformen gleichberechtigt zu fördern, müssen Leistungen auf Kinder ausgerichtet sein, und zwar unabhängig von der Familienform.

Chancengleichheit am Arbeitsmarkt schaffen

Frauen erhalten pro Arbeitsstunde im Schnitt immer noch circa ein Fünftel weniger Lohn als Männer. Alleinerziehende sind von den existierenden Benachteiligungen am Arbeitsmarkt besonders stark betroffen. Als Familienernährer*innen brauchen Alleinerziehende eine gute Arbeit, von der sie sich und ihre Kinder ernähren können. Alleinerziehende arbeiten deutlich häufiger in Vollzeit als Mütter in Paarfamilien. Viele Alleinerziehende, die in Teilzeit beschäftigt sind, würden ihre Arbeitszeit gerne ausweiten; der Arbeitsmarkt bietet dies aber nicht an. Familienfreundliche Arbeitswelten sowie Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsmarkt stärken insbesondere alleinerziehende Mütter unmittelbar.

Bedarfsgerechte gute Bildung und Betreuung für Kinder sichern

Die Kita schließt um vier, die Schicht geht bis um sieben: Betreuungszeiten in Kinderbetreuungseinrichtungen passen oftmals nicht zu den Arbeitszeiten von Eltern. Dies trifft insbesondere auf die Eltern zu, die in frauentypischen Berufen arbeiten. Für Alleinerziehende ist das ein Dilemma: Einerseits benötigen sie Kinderbetreuungsangebote, die zu ihren Arbeitszeiten passen; anderseits eine Arbeit, die zu den vorhandenen Öffnungszeiten der Kinderbetreuung passt. Eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung ist existenziell für Alleinerziehende: Ohne ausreichende Kinderbetreuung können sie nicht in dem Umfang einer Erwerbstätigkeit nachgehen, der für das Sicherstellen des Lebensunterhalts notwendig ist.

Zeit als Familie ermöglichen

Familien brauchen auch Zeit: Zeit für- und miteinander, Zeit für Fürsorge und Betreuung, Zeit für Begegnungen, Zeit für sich selbst. Zeit, die für ein gutes Aufwachsen der Kinder und den Erhalt der Gesundheit ihrer Eltern unentbehrlich ist. Taktgeber für die Zeit als Familie darf nicht nur die Arbeitswelt sein, auch die Bedarfe der zu betreuenden Kinder oder der pflegebedürftigen Angehörigen sind wichtig. Insbesondere Alleinerziehende haben wegen ihrer mehrfachen Belastung meist wenig Zeit für ihre Familie und sich selbst. Es braucht daher zeitpolitische Instrumente in der Familienpolitik, am Arbeitsmarkt und in der öffentlichen Infrastruktur, die Familien zugutekommen. Zeitpolitik ist bislang ein unterentwickeltes Feld der Familienpolitik, insbesondere wenn es darum geht, Zeit für Familie und Beruf in Einklang zu bringen.

Gesundheit von Alleinerziehenden sichern

Zahlreiche Untersuchungen belegen: Die Lebensform Alleinerziehend ist vielfältigen Belastungen und damit gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Diese können durch strukturelle Risikofaktoren wie der angespannten Einkommens- oder Arbeitssituation sowie durch den Zeitdruck zwischen Job, Kindern und Haushalt verursacht sein. Aber auch Belastungen durch Trennungskonflikte und die alleinige
Verantwortung für das Kind oder durch die Anpassungsleistung, sich mit der neuen
Lebenssituation zu arrangieren, können Risikofaktoren sein. Diese Mehrfach- und teilweise auch Überbelastungen äußern sich vielfach in Stress und Erschöpfung. Die gesundheitlichen Folgen können erheblich sein. Politische Maßnahmen, um strukturelle Risikofaktoren zu verringern, sowie ein niedrigschwelliger Zugang Alleinerziehender zur Gesundheitsversorgung müssen Hand in Hand gehen.

Armut Alleinerziehender und ihrer Kinder verhindern

Armut hat Folgen für das ganze Leben: Sie grenzt aus, sie schmälert die Bildungsund Erwerbschancen, sie kann sich nachteilig auf die persönliche Gesundheit auswirken. Alleinerziehende und ihre Kinder sind im Vergleich zu allen anderen Familienformen dem höchsten Armutsrisiko ausgesetzt. Entsprechend ist der Anteil von Alleinerziehenden, die Grundsicherung für Arbeitssuchende beziehen (SGB II), im Vergleich zu verheirateten Paaren hoch. Obwohl viele Alleinerziehende einer Erwerbstätigkeit nachgehen, müssen sie ihren Arbeitslohn häufig durch zusätzliche Sozialleistungen „aufstocken“.

Bezahlbares Wohnen und lebenswertes Umfeld schaffen

Ein gutes Wohnumfeld ist eine wichtige Voraussetzung für ein gesundes Aufwachsen von Kindern. Dieses sollte Kindern sichere Freiräume zum Spielen, Sportangebote und eine verlässliche Kinderbetreuung bieten. Ausreichender und bezahlbarer Wohnraum ist insbesondere für Alleinerziehende wichtig. Eine sozial verträgliche Wohnungspolitik sollte über Konzepte für ein lebenswertes Wohnumfeld verfügen, gemeinschaftliche Wohnformen fördern und dabei die besonderen Belange von Familien berücksichtigen.

Mehr gesellschaftliche und politische Teilhabe ermöglichen

Alleinerziehende und ihre Kinder sind strukturell benachteiligt und haben nur eingeschränkten Zugang zu gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen. Alleinerziehende sollten durch ihren Sachverstand Einfluss auf die öffentliche Meinung und Politik nehmen und zum Abbau von Vorurteilen und Benachteiligungen beitragen können. Um die Interessen von Alleinerziehenden bei politischen Entscheidungen wirkungsvoll zu vertreten, braucht es Zeit für persönliches Engagement sowie Anerkennung und Förderung ehrenamtlichen Engagements wie auch hauptamtlicher Strukturen. Bisher sind die Rahmenbedingungen, die für eine effektive gesellschaftliche und politische Teilhabe Alleinerziehender notwendig sind, unzureichend.

Kinder im Blick behalten: Gemeinsame elterliche Verantwortung nach Trennung stärken

Nach einer Trennung führt die veränderte Familiensituation zu großen Herausforderungen für alle Familienmitglieder. Wir möchten Eltern darin stärken, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und ihr Kind/ihre Kinder in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen zu stellen. Unterschiedliche Vorstellungen und Konflikte über das Ausgestalten der neuen Familiensituation sollten zum Wohl des Kindes bei Bedarf professionell begleitet werden. Für eine tragfähige Lösung ist es wichtig, dass die Eltern ein faires Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten finden.

Familiäre Solidarität durch ein faires Unterhaltsrecht fördern

Ob vor oder nach einer Trennung – die gemeinsamen Kinder werden noch immer überwiegend von den Müttern betreut. Diese nehmen dadurch berufliche Nachteile in Kauf: Ein niedriges Einkommen, verpasste Karrierechancen, eine unzureichende Rente sind die daraus resultierenden Folgen. Für die Festsetzung des Unterhalts nach einer Trennung sollte deshalb die Gestaltung des Familienlebens vor der Trennung berücksichtigt werden. Nur so kann vermieden werden, dass die Trennung zu Lasten des finanziell schlechter gestellten Elternteils und der Kinder geht. Faire Lösungen verhindern Streit über Umgang und Unterhalt und tragen dazu bei, dass Kinder einen unbeschwerten Kontakt mit beiden Eltern pflegen.

Gewaltfreiheit durchsetzen

Der gewaltfreie Umgang zwischen Vätern, Müttern und Kindern ist durch die Gesetzgebung und die sozialen Rahmenbedingungen ausreichend sicher zu stellen. Sobald Gewalt gegen Kinder oder gegen einen Elternteil bekannt wird, müssen Maßnahmen zur Abwendung ergriffen werden. Hier ist jede und jeder angesprochen hinzuschauen und aktiv zu werden – ob in der Kita, in der Schule, in der Nachbarschaft, im Jugendamt, in Arztpraxen oder bei Alltagsbegegnungen. Im Umgangs- und Sorgerechtsstreit sind die Befindlichkeiten derer, die von körperlicher oder auch seelischer Gewalt bedroht bzw. betroffen sind, ganz besonders zu berücksichtigen.