Digitales Fachgespräch am 11.07.2024:

Im Streitfall für das Kind! Hochstrittige Eltern – Kindeswohl im Blick?

Rund 170 Personen bestehend aus unterschiedlichem Fachpublikum nahmen an dem digitalen Fachgespräch des Netzwerks Alleinerziehenden-Arbeit Baden-Württemberg teil, das sich dieses Jahr mit dem Thema „Hochstrittige Eltern und Kindeswohl“ beschäftigte. Mit großem Interesse wurde dem Fachvortrag von Prof. Dr. Ludwig Salgo, Goethe-Universität Frankfurt, zugehört. In anschließenden Resonanzgruppen wurden Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag ausgetauscht und Möglichkeiten des professionellen Umgangs mit hochstrittigen Eltern geteilt.

Jedes Jahr sind etwa 170.000 Kinder und Jugendliche von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Hinzu kommen Tausende Betroffene, deren Eltern sich in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft trennen. Viele Kinder und Jugendliche erleben eine sog. „hochstrittige Elternschaft“ im Kontext der Trennung und Scheidung und leiden darunter.

Viel zu schnell und zu häufig würden Elternpaare als „hochstrittig“ bezeichnet, so Prof. Salgo, wenn sie sich schwertun, einvernehmliche Lösungen für die Zeit nach der Trennung zu finden. Er machte deutlich, dass es sich seiner Meinung nach um einen „vernebelten“ Begriff handelt, für den es keine einheitliche Definition gäbe. Am ehesten findet sich eine im Lexikon der Psychologie, die als „Hochkonfliktfamilien“ die Trennungs- und Scheidungsfamilien bezeichnet, in denen die Konfliktbeteiligten in der Extremphase der Konfliktentwicklung „mit einem Komplex von schwer korrigierbaren Verhaltensweisen“ eine sinnvolle Lösung von Familienrechtsstreitigkeiten, wie z.B. Umgangs- und Sorgerechtskonflikte dauerhaft beeinträchtigen. Die Häufigkeitsraten liegen, auch wegen fehlender einheitlicher Definition, schwankend zwischen 5% und 10%. Trotz dieser eher geringen Zahlen werden unverhältnismäßig stark Beratungs- und Helferkapazitäten sowie die Justiz in Anspruch genommen.

Prof. Salgo zeigte auf, dass es einen Zuwachs an Umgangsverfahren gibt und stellte provokativ die Frage, ob das auf dem Hintergrund einer verteilenden Gerechtigkeit geschieht: Wenn das Kind nicht geteilt werden kann, dann doch wenigstens sein Leben? Er machte jedoch deutlich, dass ein erzwungener Umgang mehr Schaden als Nutzen für das Kind bringt und die Eltern-Kind-Beziehung beeinträchtige. Die starke Konzentration auf das Einvernehmen seitens des Familiengerichts bewertete er negativ, da häufig Machtgefälle und dysfunktionale Strukturen zwischen den Elternteilen vorliegen. Diese würden nicht genügend berücksichtigt werden.

Für Kinder und Jugendliche stellen nicht endende Konflikte zwischen den Eltern ein Risikofaktor dar, der sie erheblich belastet. Und in der Regel sind sie die Verlierer im Streit um Sorge- und Umgangsrecht. Von daher empfiehlt Prof. Salgo als „Kinderrechtler“, den Fokus immer auf das Kind zu legen und sein Verhalten genauestens zu beobachten und auszuwerten und daraus Rückschlüsse zu ziehen für den Umgang mit den beiden Elternteilen. Dabei zitierte er Prof.in Sabine Walper: „Allgemeine Behauptungen, wie Vaterabwesenheit führe zwangsläufig beim Kind zu Schäden, oder gar zur Krankheit sind ebenso falsch wie die allgemeine Behauptung, wonach häufige Kontakte dem Kindeswohl dienen oder einer Kindeswohlschädigung vorbeugen.“

Herr Salgo empfahl bei häuslicher Gewalt eine strikte Hierarchie der Regelungsaufgaben umzusetzen. Als erstes muss die Sicherheit des Kindes geschützt werden, dann u.a. Beratung und therapeutische Hilfen in Anspruch genommen werden und erst dann der Umgang geregelt werden

In der anschließenden Diskussion regte er an, Eltern bereits im Vorfeld von Trennung und Scheidung unterschiedliche Angebote zu machen, in denen sie lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen.